Ansprache des Galeristen
Der Mensch hat eine sehr breite Palette sich auszudrücken, zu kommunizieren. Alles was er tut - oder nicht tut - ist Ausdruck seiner Persönlichkeit.
In unserer Gesellschaft neigt man dazu, das Wort als wichtigste Ausdrucksmöglichkeit zu bewerten, da Dinge, die mit Worten und Zahlen mitgeteilt werden können, uns die wertvollsten zu sein scheinen.
Zeichnungen kennt man als technische Zeichnungen, zwar im Gegensatz zum Wort international verständlich, aber doch nur für wenige Spezialisten.
Eine Maschine scheint heute das Idealbild des Menschen zu sein - exakt wissenschaftlich arbeitend, nichts vermeintlich Überflüssiges.
Wo bleibt da die Krone der Schöpfung?
Auf der Suche nach den letzten unverstümmelten Menschen werden wir zunächst ihre Produkte finden: Lyrik - ein Bild - eine Skulptur. Diese Produkte sind vom Hersteller freigesetzt worden als Produkte kreativen Ausdruckes.
Meistens stehen wir davor wie vor einer Konservendose, zu der uns der Öffner fehlt.
Es ist heute kaum mehr möglich, mit einem Künstler sein Werk entstehen zu sehen.
Wir wissen nichts von dem Entstehungsweg eines Bildes, dessen Wurzeln bis zum Beginn der Existenz des Menschen reichen, der das Bild gemalt hat, von der sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung mit Geist und Hand, die für den Künstler oft wichtiger ist, als das fertige Bild.
Wir stehen vor einem fertigen Bild: Jetzt müssen wir aktiv werden, die Augen öffnen, alles in uns hineinlassen, ohne zu selektieren und in Regale einzuordnen. Dann wird sich herausstellen, daß man ein Bild, eine Skulptur, ein Gedicht mögen wird, ja sich richtig verlieben, oder das Gegenteil davon, ohne zu wissen warum. Hier ist nichts mehr mathematisch erklärbar, hier ist der ganze Mensch betroffen.
Das eigentlich fertige Bild entsteht in jedem Betrachter neu, oft so, als hinge ein Spiegel an der Wand.
Sie sagen, das haben Sie noch nie erlebt? - Dann müssen Sie es unbedingt lernen, sonst entgeht Ihnen eine wunderbare Sache!
Setzen Sie sich vor ein Bild das Ihnen auf Anhieb sympathisch erscheint , achten Sie darauf , daß der Rechner in Ihrem Gehirn nicht zu klicken beginnt und lassen das Bild durch Ihre Augen direkt in sich hinein – Sie werden es erfühlen können. Ein Bild zu genießen hängt nicht von Ausbildung oder Wissensstand ab . Man muß es nur versuchen wollen, mit dem einzigen Risiko, nicht mehr davon los zu kommen.
Vielleicht erwacht auch das Bedürfnis , sich selber bildnerisch auszudrücken - jedes Kind kann das schließlich.
Der Erwachsene wäre da genauso begabt, wie er sich ja auch durch die Sprache ausdrücken kann. Mit den ersten Bildern mag es zwar Schwierigkeiten geben, wie mit den ersten Worten, die einer spricht, der jahrelang stumm war.
Von Bild zu Bild nimmt einen dann die Möglichkeit des bildnerischen Ausdrucks mehr gefangen.
Kunst - oder nicht Kunst darf dabei nicht die Frage sein.
Niemand, der glaubwürdig erscheinen will , wird Kunst um der Kunst willen schaffen wollen. Ob ein kreativer Ausdruck einen historischen Platz bekommen wird, entscheidet die Nachwelt. Wer sich öffentlich auszudrücken sucht, tut das für die, denen er Sprachrohr - oder Spiegel ihrer selbst - sein kann, aber nicht zuletzt für sich selbst .
„Meine Bilder sind für die gemalt, denen sie gefallen." - ein oft von Künstlern angewandter Satz . Die Auseinandersetzung mit Gefühlen, Eindrücken und formalen Problemen sind mit der Fertigstellung des Bildes abgeschlossen.
Probleme mit den Bildern sind jetzt Sache des Betrachters, wenn auch die Hilfestellung des Produzenten - mit Recht - in Anspruch genommen wird.
Doch ist nicht jedes Produkt von Kreativität gekonnt, gut oder gar Kunst.
Was ist Kunst?
- glauben sie niemand, der diese Frage beantworten kann!
Ich möchte da einen Vergleich anstellen, der nicht sehr
hinkt, aber etwas vermessen ist:
Was ist Gott?
- glauben Sie niemand, der diese Frage beantworten kann!
Ist nun jeder der kreativ arbeitet - gleich auf welchem Gebiet - ein Künstler? - ja, für jeden, dem er damit etwas zu sagen vermag.
Ist nur der posthum ein Künstler, der den Zeitgeist auszudrücken vermochte und in die Historie paßt? - ja, für Historiker und Kunstgeschichtler.
In unserer Gesellschaft wird dem bildnerischen Ausdruck relativ wenig Bedeutung beigemessen. Schon in der Schule wird das lineare Denken bevorzugt:
Schuster = Mann, der Schuhe macht.
Daß für einen Menschen auch wichtig ist, ob ihm der Schuster sympathisch ist, ob er braune Haare hat, von kräftiger Statur ist, angetan mit einem Lederschurz und Herr Sammer heißt, ist solchem Denken fremd.
Schon kommt von einem linear denkenden Menschen
"Wozu ist dieses Bild gut? Was stellt es dar?"
Damit sind die für ein Bild so wichtigen Aussagen , die man nicht in Worte kleiden kann, blockiert.
Könnte man ein Bild durch Worte ersetzen, wäre es um jede Tube Farbe schade.
Auch der Umgang mit den handwerklichen Voraussetzungen für bildnerisches Gestalten wird in der Erziehung vernachlässigt.
Die wenigen Leute, die ein paar Tuben Farbe besitzen, diese mischen können, und auf einen Bildträger bringen, werden oft schon wegen dieser Fähigkeit bewundert, als Künstler angesehen.
Mit der Verstümmelung der Fähigkeit sich bildnerisch ausdrücken, geht die Verringerung der Genußfähigkeit Hand in Hand. Gequält von Fragen wie? warum? und weshalb? vergessen viele ein Bild zu erfühlen, oder verzetteln sich in unfruchtbaren Diskussionen über Dinge, die sie meinen, verstandesmäßig bewältiget zu müssen.
„Früher", hört man den Vorwurf, „war es doch auch nicht besser, die Kunst war für die wenigen Obrigkeiten, sakral oder profan da.
Natürlich wurde damals in das Entstehen von Kunst von den Auftraggebern eingegriffen, aber im Endeffekt mehr lernend als bestimmend. Das Verständnis der ohnehin kulturell gebildeten Auftraggeber wurde durch die Anteilnahme an der Arbeit vergrößert, ja sie mußten dann hinter allem stehen, was sie in Auftrag gegeben hatten.
Auch das Verhältnis der Bevölkerung, die beispielsweise jeden Sonntag in der Kirche mit Kunst konfrontiert wurde, war Auseinandersetzung, oder wenigstens war Kunst eine zum Leben gehörende Alltäglichkeit.
Ja, Sie haben recht, heute ist ein Künstler viel freier.
Er kann eigentlich tun und lassen was er will. Dafür steht er mit seinen Bildern oft in einem fast leeren Raum, der nur von einigen „Kunstspezialisten" bevölkert wird.
Es gibt heute kaum einen Künstler, der von seiner Kunst leben kann. Eine gut verdienende Frau ist da noch besser als Nebeneinkünfte.
Kulturelle Aufgaben liegen heute in den Händen von Politikern, die oft ihren kulturellen Verpflichtungen und ihrem Kulturetat mit zweifelhaften Gefühlen gegenüber stehen.
Dagegen ist die Möglichkeit einer Ausstellung auf alle Fälle eine Bestätigung und Ermutigung für Aussteller und Besucher, sich kreativ bildnerisch auszudrücken.
Johannes M. L. Pasquay, 1984 |